Walkartenpanne
Eine Ergänzung zum Beitrag „Ständige Judikatur und Wahlwiederholung“, besonders hinsichtlich verschiedener Expertenmeinungen.
Zur Erinnerung: Vor Wochen hat das Innenministerium Anzeige bei der Korruptionsstaatsanwaltschaft gegen Wahlbeisitzer der durch den Verfassungsgerichtshof geprüften Bezirke gemacht.
Beim ersten Wahlgang hat das Ergebnis erst nach der Auszählung der Wahlkarten von Norbert Hofer auf Alexander van der Bellen gedreht. (derStandard, Michael Völker, 9. 9., S. 32)
Frage: Warum wurden bei der Hochrechnung im Innenministerium die Wahlkartenwähler, die bei der Hochrechnung für die Öffentlichkeit im ORF vom Anfang an einbezogen wurden, nicht berücksichtigt?
Kommentar zur möglichen Wahlverschiebung
Martin Klier, der Sprecher von Norbert Hofer: Wir gehen davon aus, dass das Ganze bis zum Wahltag in Ordnung gebracht ist, denn alles Andere wäre für das Innenministerium eine Blamage. (derStandard, 9. 9., S. 9)
Zutreffend ist folgender Sachverhalt: Die „Unregelmäßigkeiten“ – bestehende gesetzliche Regelungen für die Durchführung der Auszählung der Wahlkarten wurden gesetzeswidrig nicht eingehalten - gab es auch vor der Stichwahl über Jahre hinweg. Nicht nur bei der Auszählung der Wahlkarten für die Stichwahl, sondern auch bei Nationalratswahlen. Aber für die Verfassungsrichter gilt: Wo kein Kläger, da kein Richter.
Schlagzeilen der Tageszeitungen am Wochenende 9./10./11. 9. 2016
- Die Presse 9. 9., S. 2/3: Hofer will wählen, van der Bellen nicht.
- Die Presse 10. 9., S.1: Wird die Wahl verschoben?
- Kleine Zeitung 9. 9., S. 1: Die Briefwahl-Posse
- Kleine Zeitung 9. 9., S. 4/5: Platzt nach Kuverts Wahltermin?
- Kleine Zeitung 10. 9., S. 1: Ein Land auf dem Pannenstreifen
- Kleine Zeitung 10. 9., S. 2/3: „Nehmen S bitte den Uhu, kein Tixo“
- Kleine Zeitung 10. 9., S. 4/5: Das Schweigen der Wahlkarten-Drucker
- Wiener Zeitung 9. 9., S. 1: Chaos bei Wahlkarten – Experten für Verschiebung
- Kurier 9. 9., S. 4: Kippt Stichwahl? Offene Kuverts, Ministerium ratlos
- derStandard 9. 9., S. 1: Wahlkartenchaos: Rechtsexperten raten zur Wahlverschiebung
- derStandard 10./11. 9., S. 1: Immer mehr rechtliche Probleme um Hofburgwahl
- derStandard 10./11. 9., S. 12: Erste Ordnungsversuche im Wahlkartenchaos
Wortmeldungen von und zu Innenminister Sobotka
„Die Entwarnung von Innenminister Wolfgang Sobotka (ÖVP) wonach die neuerliche Stichwahl zur Hofburgentscheidung am 2. Oktober ungefährdet sei, kann möglicher weise etwas zu früh.“ (Kurier, 9. 9., S. 4)
Sobotka via Aussendung aus Deutschland: „Wenn eine ordnungsgemäße Durchführung der Wahl auf Grund eines augenscheinlichen Produktionsfehlers nicht möglich ist, ist es meine Aufgabe als oberster Leiter der Wahlbehörde, eine Verschiebung umgehend zu prüfen.“ (Kleine Zeitung, 10. 9., S. 3)
„Angesichts defekter Wahlkarten lässt Innenminister Sobotka (ÖVP) übers Wochenende eine Verschiebung prüfen.“ (derStandard 10./11. 9., S. 1)
Sobotka außerdem: „Für die technischen Unzulänglichkeiten kann ich mich nur entschuldigen.“ (derStandard, 10./11., S. 12)
Der Innenminister beim ÖAAB-Bundestag in Graz: „Wir überlegen in der Situation, können wir sie (die Wahl) so durchführen, dass sie nicht angefochten wird. Schaut nicht aus, dass wir das zusammenbringen.“ (Kleine Zeitung 11. 9., S. 3)
Der frühere Justizminister Dieter Böhmdorfer, der als Anwalt für die FPÖ die Wiederholung der Stichwahl erreicht hat, übt gegenüber der Zeitung „Die Presse“ Kritik an Innenminister Wolfgang Sobotka: „Was muss ein Innenminister noch in seiner Sphäre zu verantworten haben, ohne dass die politische Verantwortlichkeit eingemahnt wird?“ Auf die Frage, ob es für ihn denkbar sei, auch die Wahlwiederholung im Namen der FPÖ anzufechten:„Ich habe keinen Auftrag, Material zu sammeln.“ (Die Presse 10. 9. S. 2)
Pressekonferenz von Innenminister Sobotka am 12. September 2016: Neuer Wahltermin 27. 11. oder 4. 12., Neudruck der Kuverts für Briefwahl durch die Staatsdruckerei. Nach Klärung des Terminplanes mit dem Parlament wurden der 4. Dezember und die Aktualisierung des Wählerverzeichnisses beschlossen.
Der Innenminister als oberster Leiter der Wahlbehörde ist in der Regierung die letztlich entscheidende Instanz für Wahlen. Der Bundeskanzler hat in Österreich keine Richtlinienkompetenz gegenüber den Ministern.
Beispiele für Meinungen von Rechtsexperten
Eine Verschiebung sei nicht möglich, meint Verfassungsrechtler Bernd-Christian Funk. Wenn die Wahl einmal ausgeschrieben, ist müsse sie statt finden. „Das ist ein Mechanismus, der wie ein Uhrwerk läuft.“ (Die Presse, 9. 9., S. 8)
Und in der ZiB2 am 10. 9. weist Funk darauf hin dass bei einer Wahlwiederholung „idente Kriterien“ gelten müssen. „Die Spielregel lautet: zurück an den Ausgangspunkt“.
Weil sich das Kuvert einer Wienerin über Nacht öffnete, plädiert Verfassungsrechtler Heinz Mayer im Standard-Gespräch für einen späteren Wahltermin, da anzunehmen ist, dass noch mehr Kuverts diesen Fehler haben; das bedeutet „ein enormes Risiko für eine erneute Wahlanfechtung“. (derStandard, 9. 9., S. 1)
Je später die Wahl stattfindet, desto größer wird der Unterschied zwischen dem formalrechtlichen Wählerverzeichnis für den 22. Mai 2016 und den inzwischen wahlberechtigt gewordenen 16jährigen. Heinz Mayer plädiert daher für ein Adaptieren des Wählerverzeichnisses. (derStandard, 10./11. 9., S. )
Verfassungsrechtler Theodor Öhlinger, Professor an der Uni Wien, sagt im Interview in der Kleinen Zeitung ( 9. 9., S. 4) zu den schadhaften Wahlkarten: „Es handelt sich nicht um einige wenige Einzelfälle. Die Sache muss repariert werden. Wenn es zeitlich nicht geht, bleibt nichts anderes übrig, als die Wahl zu verschieben. ... Im Ministerium ist man offenbar der Meinung, man dürfe die Wahlkarten, wenn sie unterschrieben oder abgeschickt wurden nicht mehr zurück nehmen. Das ist falsch. Das ist ein ungültiges Formular. ... Ich will dem Ministerium nichts unterstellen, vielleicht spekuliert man, dass van der Bellen von den ungültigen Wahlkarten benachteiligt wäre, er aber nicht der Typ ist, der die Wahl anficht.“
Wahlrechtsexperte Klaus Poier: „Wir führen uns mit unserem Rechtspositivismus ad absurdum. Die Dinge sind oft sehr einfach. Wenn die Wahlkarte defekt ist, wird sie ausgetauscht. So würde man das Problem in den meisten Ländern pragmatisch lösen. ... Ich wäre für eine grundsätzliche Reform der Wahlbestimmungen. Man sollte festlegen, welche Vorschriften unabdingbar sind, um Manipulationen zu verhindern. Ob die Bezirksbehörde die Auszahlung um 9.00 Uhr früh beginnt, ist eine Sache, die man in einer typisch österreichischen rechtspositivistischen Sicht geregelt hat, die aber unsinnig ist.“ (Kleine Zeitung 11. 9., S. 2/3)
Die Druckerei
Die Druckerei Kbprintcom in Vöcklabruck fertigt seit 2003 die Wahldrucksorten für Wahlen auf Bundesebene. Davor machte dies die Staatsdruckerei.
Das Ministerium hat mittlerweile veranlasst, dass das Bundeskriminalamt ermittelt. Angeblich konzentrieren sich die Nachforschungen auf die Frage, ob ein Mitarbeiter absichtlich die Fehlproduktion verursacht haben könnte. (Die Presse, 10. 9., S.3)
Karl Korinek, der frühere Präsident des VfGH sagt im Gespräch mit der Presse zu den fehlerhaften Wahlkarten: „Das ist nun einmal mehr das Ergebnis des Umstands, dass der Staat im Zuge der ganzen Privatisiererei Staatsfunktionen aus der Hand gegeben hat.“ Norbert Hofer meint hingegen bei seinem Wahlkampfauftakt in Wels, die Wahlkartengeschichte sei ein Beispiel für eine nicht funktionierende Verwaltung. (Die Presse am Sonntag, 11. 9., S. 3)